Ein Skandal, der keiner ist
vom Krimiblogger
Hat der deutsche Krimi endlich eine Affäre? Wird er die Schlagzeilen auf den ersten Seiten beherrschen oder gar Einfluss auf den Wahlausgang im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW am 22. Mai 2005 nehmen? Sorgt sich Peer Steinbrück deswegen um seinen Job und nicht, weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist, die Genossen an Rhein und Ruhr gegen die „Reformer“ und als Genossen verkleidete Neoliberale aus Berlin kämpfen und die SPD sowieso im Umfragetief steckt? Lacht sich CDU-Spitzenmann Jürgen Rüttgers schon heimlich eins ins Fäustchen, weil der Düsseldorfer Krimiautor Horst Eckert die dunklen Machenschaften seines Kontrahenten – rein fiktiv versteht sich – aufgedeckt hat? Wenn man den Artikel „Auflage durch Aufregung“ vom 6. April 2005 in der NRZ liest, könnte der Verdacht entstehen. Keine Frage: Die Nerven im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf liegen blank. Für die SPD geht es um’s nackte Überleben, noch eine Niederlage bei einer Landtagswahl, zumal in der ehemaligen Hochburg der Genossen, könnte Kanzler Schröder den Kopf kosten, zumindest dürfte er dann heftig wackeln. Gleichzeitig wittern Rüttgers und seine christdemokratischen Mitstreiter in der bundesdeutschen Hauptstadt Morgenluft: Naht das Ende von Rot-Grün schon nach dem 22. Mai 2005 – und zwar nicht nur in Düsseldorf?
Der mutmaßliche Skandal dabei: Der neue Kriminalroman von Horst Eckert, der Anfang April (also gut sieben Wochen vor dem Wahltermin in NRW) unter dem Titel „617 Grad Celsius“ im Grafit-Verlag erschienen ist. Eckert erzählt darin die Geschichte der Kripobeamtin Anna Winkler, die sich mit der Aufklärung einer Gasexplosion in der Düsseldorfer Innenstadt beschäftigen muss, bei der mehrere Menschen ums Leben kamen. Die Ermittlungen führen sie zu einem älteren Fall und zu ihrem Onkel Uwe Strom, der als Ministerpräsident des Landes NRW wiedergewählt werden möchte. Immerhin: Ulrich Noller urteilte in seiner Besprechung bei der Deutschen Welle:
„Angesichts der anstehenden Landtagswahl ist „617 Grad Celsius“ höchst brisanter Kriminalroman. Und einer, der einen ungewohnten Horst Eckert zeigt: Einen gesellschaftskritischen Autor, der sich zum Fundamentalkritiker der politischen Klasse entwickelt.“
Ulrich Noller in seinem Buchtipp zu „617 Grad Celsius“
Erinnerungen an den Fall Siewert?
Doch soviel Nähe zur Realität scheinen Autor und Verleger nicht willkommen zu sein. Grafit-Chef Rutger Booß bestreitet laut NRZ „eine absichtsvolle Verquickung von Realität und Roman, erst recht eine kalkulierte Provokation.“ Weiter heißt es im Artikel:
“ Niemand sei erkennbar, geschweige denn in der Absicht beschrieben worden, ihn zu beleidigen. Aber: „Ich hätte dieses Buch so nicht geschrieben“, auch das sagt Booß. Und auf die Frage, ob es nicht geschmacklos sei, ohne Not auf Versatzstücke aus dem Leben einer bekannten Person zurückzugreifen, gibt der Verleger seinem Autor nur bedingt Rückendeckung. Über Geschmacksfragen ließe sich bekanntlich streiten. „
Autor Horst Eckert bezeichnet die Vorwürfe auf seiner Internetseite als „Lächerlich.“ Doch auch das Fachmagazin „Buchmark“ sieht eine Affäre im Anmarsch, wie in diesem Artikel nachgelesen werden kann. Dummer Zufall, dass der Roman sieben Wochen vor der Landtagswahl erschienen ist? Laut Grafit-Verleger Booß eher ein Hindernis, aus Gründen des Marketings: „Schon einen Tag nach der Wahl ist das Thema doch total veraltet. Werblich kann man damit dann nichts mehr anfangen.“ erklärt Rutger Booß lapidar im Gespräch mit der NRZ.
Schon merkwürdig, wie wenig der Verleger hinter seinem Autor steht – wenn man denn dem NRZ-Artikel Glauben schenken darf. Dabei hat der Grafit-Chef Erfahrung mit Klagen wegen angeblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Schon 2003 handelte sich der Krimi „Wilsberg und der tote Professor“ von Jürgen Kehrer (ebenfalls bei Grafit erschienen) eine Klage ein, weil sich angeblich Dr. Klaus Siewert, Privatdozent an der Universität Münster, in dem Krimibösewicht Kaiser wieder erkannt haben will. Damals wurde die Klage abgewiesen und der urteilende Richter gab dem unterlegenen Kläger weise Worte mit auf den Weg: “ Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.“
Auch die Spitzenpoltiker in NRW – egal ob nun SPD oder CDU – werden wohl schweigen, zumal sie während des Wahlkampfs keine Zeit zum Krimilesen finden dürften. Bleibt ein fader Nachgeschmack von einem Skandal, der keiner ist.
P.S.: Wenn der Link zum Artikel in der NRZ nicht mehr funktioniert, bitte die Archiv-Suche nutzen
Kommentare
[…] Wieso nur erinnert mich dieser → Fortsetzungs-Wahl-Satire-Krimi an eine → Kolumne in einem wohlbekannten Krimiblog? Dabei wurden die wahren Wahl-Krimis doch schon → längst → geschrieben… Abgelegt unter: » Krimilektüre | am 2. Sep 2005 um 17:35 Uhr | 62 Wörter […]